Die Diagnose Demenz steht fest.

Für einige Menschen ist die Diagnose Demenz eine Erleichterung: Das Puzzle setzt sich zusammen. Darauf folgt oft eine lange Zeit, in der man sich mit zahllosen Fragen beschäftigt. Warum trifft uns die Demenz und warum gerade jetzt, wo wir das Leben genießen könnten?

Muss ich mir Vorwürfe machen, weil ich in letzter Zeit so viel mit meinem Partner gestritten habe? Wie soll ich mit dem fehlenden Verständnis meines näheren Umfelds umgehen?

Darf ich mir noch etwas gönnen? Wer mit Demenz konfrontiert wird, sucht alleine oder mit der Unterstützung von anderen nach Antworten auf die unterschiedlichsten Fragen und Gefühle.

Und oft ist es eine intensive Suche. Wie gehen Sie am besten vor?

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Die psychosozialen Folgen von Demenz sind nicht nur für die Person selbst, sondern auch für sein Umfeld tief greifend.

Das Pflegepersonal muss sich so gut wie möglich in die Situation der Betroffenen hineinversetzen und Unterstützung bei der Suche nach Bezugspunkten leisten können.

Zuhören ist sehr wichtig, aber auch ein Einblick in die Dynamik der Familien. Kann man das von medizinischen Hilfen erwarten?

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100.000 Fragen und Gefühle

1. Ich mache mir Vorwürfe, weil ich so oft böse wurde.
2. Ich habe Angst vor der Zukunft
3. Warum muss das ausgerechnet uns passieren?
4. Ich schäme mich für sein/ihr Verhalten und traue mich nicht mehr raus.

„Als der Arzt sagte, dass meine Partnerin Demenz hat, war das eigentlich eine Erleichterung. All die Streitigkeiten, die wir früher hatten, weil sie Dinge verlegt hat, immer wieder das Gleiche fragte, Termine vergaß … Auf einmal wurde alles klar. Es gab einen Grund und dieserGrund ist eine Krankheit. Jetzt grübele ich wieder nächtelang. Ich mache mir Vorwürfe, weil ich so oft mit ihr gestritten habe, obwohl sie nichts für ihre Fehler kann.“

Wenn Menschen jahrelang zusammenleben, kennen sie sich in der Regel gut. Sprich sie wissen, was sie voneinander erwarten können. Wenn dann plötzlich einer der beiden beginnt, sich seltsam zu verhalten, kann der andere das nur schwer verstehen und akzeptieren. Das Verhalten der Person passt nicht in das Erwartungsmuster. Es ist menschlich und normal, dass man dann emotional und vielleicht sogar impulsiv reagiert.

Schuldgefühle zu haben, wenn man einsieht, dass die impulsive Reaktion unnötig war, weil der andere nicht für seine Handlungen verantwortlich ist, ist genauso menschlich. Aber das ist wirklich nicht nötig: Sie wussten in diesem Augenblick nicht, was los ist, und es hilft Ihnen auch jetzt keinen Schritt weiter. Das Umgehen mit Schuldgefühlen kostet Energie und diese Energie nutzen Sie jetzt besser positiv.

Sie können Ihren Partner jetzt spüren lassen, dass Sie nicht mehr so schnell böse werden, sondern Unterstützung und Hilfe leisten, wenn er/sie Dinge falsch macht. Sie dürfen auch sagen, dass Sie spüren, dass dies für ihn/sie schmerzhafte Momente sind. Ihr Partner ist traurig, weil er/sie Möglichkeiten und Fähigkeiten verliert. Sagen Sie nicht leichtfertig: „Das ist alles nicht so schlimm, das wird schon wieder gut.“ Sie leisten Unterstützung, indem Sie dieses Gefühl von Trauer nicht banalisieren, sondern Verständnis dafür zeigen.

Auch wenn Sie wissen, dass er/sie nicht für die Fehler verantwortlich ist, wird es Ihnen noch einige Male passieren, dass Sie die Geduld verlieren und in alte Muster zurückfallen. Keine Panik, Sie sind auch nur ein Mensch. Auch Sie dürfen Ihre eigenen Zweifel und Gefühle von Ohnmacht zugeben. Sie brauchen Hilfe. Ein offenes Ohr kann schon viel bewirken.

„Mein Vater war immer ein stolzer Mann. Ein richtiger Vater, auf den man bauen konnte. Streng und gerecht. Bei ihm wurde Demenz diagnostiziert. Ich kann das einfach nicht akzeptieren. Ich will nicht zusehen, wie mein Vater immer weniger wird, bis er nur noch dahin vegetiert. Ich habe unheimliche Angst vor dem, was noch auf mich zukommen wird.“

Es ist nicht einfach, mit dieser Krankheit konfrontiert zu werden. Sie wissen, dass Sie es mit einem unumkehrbaren Zustand zu tun haben und stehen am Anfang einer Reihe von Verlusterfahrungen und einer Zeit, die von ständiger Trauer geprägt ist. Das ist sehr schwer zu akzeptieren.

Weil Sie die Diagnose gerade erst erfahren haben, stehen Sie noch unter Schock. Sie haben jetzt vor allem Angst, weil der Verlauf der Krankheit und die Endphase unvorhersehbar sind.

Und obwohl Sie es momentan noch nicht hören wollen, werden Sie feststellen, dass noch eine ganze Zeit mit positiven Erfahrungen vor Ihnen liegt. Mit etwas Unterstützung wird Ihr Vater noch recht gut leben können. Es ist für ihn und sein Umfeld wichtig, dass er den Stolz, das Gerechtigkeitsgefühl und die Strenge, die ihm eigen sind, noch weiter erleben darf. Das Umfeld kann ihn in diesen Werten unterstützen, indem es ihm ausreichend Selbstbestimmung lässt, ihn auf eine für ihn passende Art anspricht und ihn nicht bevormundet.

Man kann nicht vorhersagen, wie die Krankheit sich entwickelt. Sich auf die Probleme zu fixieren, die noch kommen werden, bringt aber auch nichts. Diese Haltung überschattet die schönen Momente, die es heute gibt. Momente intensiven Kontakts, Worte voller Wärme und Liebe, die jetzt öfter als zuvor ausgesprochen werden können, die kleinen Dinge genießen … die jetzt wertvoller als vorher sind. Räumen Sie diesen Momenten einen Platz in Ihrem Leben ein.

„Warum muss das ausgerechnet uns passieren? Das ist einfach nicht fair. Meine Mutter hat das nicht verdient. Ihr ganzes Leben lang war sie für andere da und jetzt, wo sie selbst das Leben genießen könnte, wird sie von dieser schrecklichen Krankheit getroffen. Das macht mich wütend. Ich sehe, wie alle um mich herum Urlaub machen, im Straßencafé sitzen, einkaufen, plaudern, lachen … genießen. Ich bin auf die ganze Welt wütend, auf alle Menschen um mich herum, die das nicht erleben müssen. Sie verstehen das alles überhaupt nicht.“

Es stimmt. Ihre Mutter hat das nicht verdient. Aber wer hätte so etwas schon verdient? Außerdem sehen Sie, wie andere Menschen das Leben genießen, während Sie nur Schmerz empfinden. Es stimmt auch, dass andere das nicht verstehen können. Man muss es selbst erlebt haben, um es wirklich zu verstehen.

Sie haben also allen Grund, darüber wütend zu sein. Wütend sein ist erlaubt. Es verschafft Ihnen etwas Erleichterung, wenn Sie die Wut auch bei jemandem loswerden können.

Gleichzeitig wissen Sie als rational denkender Mensch am besten, dass Ihre Wut ein Zeichen von Trauer und Ohnmacht ist. Sie werden mit einem Schicksal konfrontiert, an dem Sie in keinster Weise etwas ändern können.

Oder vielleicht doch? Die Tatsachen bleiben, aber vielleicht können Sie etwas daran ändern, wie Sie mit diesen Tatsachen umgehen. Das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und nach positiven Elementen zu suchen, schafft neue Möglichkeiten: Mutter mag immer noch leckeres Essen, die Anwesenheit der Enkel. Wieso sollten Sie diese Augenblicke nicht auch genießen?

„Ich weiß jetzt, dass meine Frau Demenz hat, aber das ändert am eigentlichen Problem nicht so viel. Ich weiß, dass sie nicht dafür verantwortlich ist, aber ich schäme mich trotzdem für ihr Verhalten. Wenn wir durch die Stadt gehen, spricht sie fremde Menschen an. Im Restaurant kann sie nicht ordentlich essen und im Kino oder Theater kommentiert sie laut, was sich gerade abspielt. Früher gingen wir gerne gemeinsam aus. Jetzt traue ich mich nicht mehr mit ihr nach draußen.“

Die Diagnose zu kennen, hilft nur dabei, das Verhalten zu erklären. Unangebrachtes Verhalten unter Kontrolle zu halten, ist oft unmöglich. Wenn Sie sich schämen und fortwährend versuchen, das Verhalten Ihrer Frau zu maßregeln, dann sorgt das sowohl bei Ihnen als auch bei Ihrer Frau für zusätzlichen Stress. Dieser zusätzliche Stress wird das Verhalten eher negativ beeinflussen. So landen Sie unvermeidlich in einem Teufelskreis.

Um dies zu vermeiden, bleiben Sie häufiger zu Hause. Drohende Vereinsamung ist die Folge. Kontakte mit der Außenwelt sind sehr wichtig. Suchen Sie also nach Situationen, in denen der Stressfaktor möglichst gering ist und in denen dennoch ein problemloser Kontakt möglich ist.

Sie informieren am besten Familie, Freunde und Nachbarn über die Krankheit Ihrer Frau. Diese können einen positiven Einfluss auf Ihre Frau ausüben, was für die Kommunikation mit und Kontakt zu anderen weiterhin wichtig ist. Außerdem können sie Ihnen eine Hilfe sein, die Geschehnisse zu verarbeiten.

Demenz ist immer noch ein Tabu-Thema, aber dem wird intensiv entgegengewirkt. In mehreren Gemeindenlaufen zurzeit mit Unterstützung der König-Baudouin-Stiftung Projekte unter dem Titel „demenzfreundliche Kommune“. Im Rahmen dieser Projekte wird versucht, die Bevölkerung einer Kommune für diese Problematik zu sensibilisieren. Man will Menschen bewusst machen, dass auch Personen mit Demenz einen wertvollen Platz in unserer Gesellschaft verdienen. Das bedeutet ganz konkret, dass wir alle gemeinsam den Umgang mit einem Verhalten lernen, das aufgrund eines Krankheitsbilds nicht unbedingt selbstverständlich ist.

Nehmen Sie also nicht alle Last und Scham auf sich, sondern denken Sie daran, dass es die Aufgabe einer ganzen Gesellschaft ist, den Umgang mit Demenz zu lernen.

Wo kann ich Hilfe finden? Klicken Sie hier.

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